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Am Wochenende kam ich mit einem jungen Mann ins Gespräch. Ich schätzte ihn Anfang Zwanzig. Wir waren auf einem Stadtfest und er genoss mit seinen Freunden die Livemusik. Die Augen strahlten, er bewegte sich behände zur Musik und eine innere Freude war in seiner Gruppe zu verspüren. Seine Haare waren seitlich und am Nacken kurz geschnitten, die übrigen lang und zu einem gezwirbeltem Zopf zusammen gebunden. Sein Gesicht war mit Piercings bespickt und aus den T-Shirt-Ausschnitten ließen sich zahlreiche Tattoos erkennen. Seine Freundin fiel durch Ihre blauen Augen auf. Diese waren durch schwarze Lidstriche hervor- gehoben und umsäumt von ihren Haaren in flammendem Orange. Ihr Antlitz gewann durch Ihr leises Lächeln an Sanftheit. Der Freund gegenüber war modisch im Casual Look gekleidet und seine Haare fielen in leichten Wellen locker bis kurz über die Ohren. Die Gruppe versprühte etwas auffallend Freundliches und Angenehmes.

Irgendwann ergab sich ein Gespräch mit meinem gepiercten Gegenüber. Einer seiner ersten Sätze war, „ich möchte einfach nur Freude um mich herum verbreiten“. Schnell sprachen wir über vielerlei Themen, die man im Einzelnen hätte tiefer durchleuchten können. Was ich jedoch konstant wahrnahm, war vor mir ein Mann, der vom Alter her die ganze Zukunft vor sich hatte. Ein Mann, der für etwas brannte, für seinen Ursprung, seine Sippe, seine Freundin, seinen besten Freund, seine Freunde – kurzum Loyalität. Er wünschte sich Standing und Profile für die Gesellschaft, genauso wie er hervorhob, dass jeder Mensch dieser Erde die gleichen Rechte hat. Die Energie die ihn durchströmte war spürbar, auch wenn er sich selbst für gänzlich kaputt erklärte.

„Ich möchte einfach nur Freude um mich herum verbreiten.“ Wie wundervoll klang dieser Satz und wieviel Desillusion schwang dennoch darin mit. Seine beiden Unterarme waren innen durch vielerlei querende Narbenlinien gezeichnet. Auf dem einen Unterarm war groß und deutlich „hopeless“ tätowiert. Dass seine Vergangenheit keine leichte war, sprach für sich. Ebenso war schnell wahrnehmbar, dass er für sein Leben kämpfen musste. Seine Startbedingungen waren alles andere als gut und dennoch hatte er es geschafft: Er hatte seinen Schulabschluss gemacht und eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann erfolgreich absolviert. Seine Zeugnisse waren so gut, dass er Einladungen zu Vorstellungsgesprächen erhielt. Doch dann kam für ihn wieder die Enttäuschung: Er wurde abgelehnt. Den Grund konnte man ihm nicht richtig nennen. Sein Fazit: Es lag an seiner Optik. Er hatte ein gepflegtes Äußeres, nur sein Geschmack war nicht mainstream. Für ihn selbst war es wieder eine

Erfahrung der Desillusion und tiefen Enttäuschung. Zurück blieb die Frage, „welche Rolle und Aufgabe habe ich in dieser Gesellschaft?“.

Dieser junge Mann hatte etwas ganz Besonderes: Aufrichtigkeit und die Sprache des Herzens. Was ihm in diesem Stadium seines Lebens als Antwort blieb: „Ich möchte einfach nur Freude um mich herum verbreiten“, begleitet mit dem Grundsatz, bis ans Ende ehrlich und aufrichtig in den Spiegel schauen zu können. Welch Potential ist da bisher den Unternehmen entgangen? Ein Mann der mit aufrichtigem Herzen für das brennt, was er tut und zudem Loyalität besitzt. War es der fehlende Mut bei den Unternehmen, eine individuelle Entscheidung zu treffen? War es die Entscheidung dafür, die Flagge des Mainstreams hoch zu halten? Wie hebt sich ein Unternehmen ab, wenn es sich vom Einheitsbrei steuern lässt?

Schnell gelangten wir zur Frage, „wer und was ist der Staat und wer und was ist unsere Gesellschaft?“, um letztendlich wieder auf uns selbst zurück zu kommen. Unser Fazit beim Abschied war sodann:

Ich gebe ungern, wenn es mir ohne Herz genommen wird.
Ich gebe gerne und viel, wenn es der andere mit dem Herzen nimmt.

12.Juni 2016

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